Abendansitz auf dem Erlenbock

Der Erlenbock ist ein ganz gewöhnlicher Drückjagdbock fast an der Südwestgrenze meines Pirschbezirks im Hunsrück. Ich gab ihm seinen Namen, weil die große freie Fläche, die man von ihm aus einsehen kann, an zwei Seiten von Erlenwäldchen, genauer gesagt von Erlenstangenholz begrenzt wird. Obwohl die Ansitzeinrichtung nicht sehr bequem ist und nur in ebenfalls nicht bequemer Tarnkleidung, und dann auch nur bei Nord- oder Ostwind, genutzt werden kann, ist sie mir im Laufe der Zeit sehr lieb geworden.

Der Blick vom Erlenbock, einer Ansitzeinrichtung

Von hier aus habe ich noch kein Wild erlegt. Die einsehbare Fläche ist aber für eine Waldjagd sehr groß, und manche spannende Beobachtung, vor allem von Rotwild, konnte ich hier schon machen und in meinem Tagebuch aufzeichnen.
Wir schreiben den Dritten im Mai 2011. Die lange Trockenperiode währt nun schon seit Anfang April. Der Pirschpfad zu meinem Sitz geht über verdorrten Waldboden, der im Vorjahr zur gleichen Zeit noch mit Frühblühern wie Sauerklee überzogen ist. Auch die von Jungfichtenhorsten sporadisch unterbrochene Freifläche, sonst eher sumpfig, wirkt bräunlich und ausgetrocknet. Wasserpfützen in den Wegen, aus denen die Vögel hätten schöpfen können, gibt es schon lange nicht mehr, und zum nächsten Teich im Walde ist es wohl einen Kilometer weit. Dennoch ist das Waldkonzert am Abend wieder wunderschön. In diesem Jahr hatte man wohl sogar einen Kuckuck als Gastsolisten engagiert.
Aber so weit ist es jetzt noch nicht. Ich habe mich früh angesetzt. Das Rotwild ist hier noch Tagwild und tritt nicht erst in der späten Dämmerung aus. Die Abschöpfung des Bestandszuwachses erfolgt zum großen Teil in einer einzigen Drückjagd im Winter. Pirschbezirkler, wie ich, sind wenige und, abgesehen von der Hirschbrunft, wenn betuchte Gäste geführt werden müssen, üben die Förster auch nicht ständig Jagddruck aus. Das Rotwild honoriert die Ruhe mit relativer Vertrautheit, ist eben Tagwild. Es ist aber dennoch äußerst vorsichtig und äugt im Gegensatz zu Schwarz- und Rehwild sehr gut, Jede kleine Bewegung nimmt es wahr. Ein Mückenschutznetz als Tarnschleier über der Kopfbedeckung ist daher sowohl auf dem Pirschpfad als auch auf einer offenen Ansitzeinrichtung angebracht, und das Fernglas nimmt man am besten erst dann zur Hilfe, wenn man Wild mit dem bloßen Auge ausgemacht hat. Im Gegensatz zum Reh ist der Hirsch weit weniger ortstreu, hat zwar auch seine Wechsel, benutzt sie aber nicht so regelmäßig. Kurz nachdem ich es mir auf dem
Drückjagdbock leidlich bequem gemacht habe, sehe ich eine starke Ricke aus einem kleinen Fichtenhorst auf die freie Fläche stürmen. Dort bleibt sie abrupt stehen und sichert in Richtung eines größeren Altholzbestandes im Norden. Dann stürmt sie zurück in die Jungfichten, um sofort wieder in die alte Richtung zu gehen, dieses mal im Stechschritt. Dann bleibt sie stehen, wendet mir ihren weit gespreizten Spiegel zu und reckt ihr Haupt weit nach vorn in die Gegenrichtung. Nach einer Minute höre ich aus der Richtung Spur- oder Fährtenlaut eines jagenden größeren Hundes. Der Laut bricht ab setzt aber kurz darauf wieder ein, jetzt aber wohl hundert Meter näher. Dann hört er plötzlich ganz auf. Die Ricke faltet ihren Spiegel langsam wieder zusammen und äst. Ich sehe, dass sie noch nicht gesetzt hat.

Lange blieb sie nicht mehr. Im flotten Schritt wechselte sie in das Stangenholz.
Unmittelbar darauf bemerke ich etwa an der gleichen Stelle das Haupt eine Stückes Rotwild, dessen Rumpf noch verdeckt war. Das Stück sichert lange in alle Richtungen, ehe es, sofort von einem stärkeren gefolgt, ganz austritt. Jetzt sind die Stücke eindeutig als Familie anzusprechen. Das Alttier, hoch beschlagen, wird bald setzen, und dann würde ein Kalb die Familie komplettieren. Beide kommen langsam näher zu
mir. In passender Entfernung von meinem Sitz hatte ich im letzten Jahr eine Stocksulze angelegt, sie in diesem Frühjahr allerdings nicht erneuert.
Dorthin ziehen beide Stücke jetzt und versorgen sich mit noch reichlich Vorhandenem . Sie richten sich dort wohl auf eine längere Zeit ein. Das
Schmaltier steht auch eine Weile und im Abstand von seiner Mutter breit.
Aber Schusszeit auf Schmaltiere ist im Hunsrück erst ab dem ersten Juni. Und unter hegerischen Gesichtspunkten ist die Frühsommerjagd auf Rotwild auch sehr umstritten.
So genießt das Wild die Abendsonne und ich den Reiz der Stunde. Bis sich bei nachlassendem Tageslicht Gelegenheit für mich bietet, heimlich zu verschwinden.

Den Vorfall mit dem Hund meldete ich dem zuständigen Revierleiter. Etwa eine Woche später rief der mich in der Sache an. In der Nachbar-schaft war im Dorfe B. ein Dalmatiner als Streuner auffällig geworden. Die Eigentümer des Hundes würden seiner nicht mehr Herr und hätten
zu einer Tötung aus Gründen des Jagdschutzes ausdrücklich ihr Einver-ständnis gegeben. Ich war aber schon bereit zur Abreise und hoffe, dass man einen anderen Weg zur Lösung des Problems gefunden hat.

Horüdho!

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