Rotfüchse, ein Rehbock und Rothirsche

Nach längerer Zeit wollten Jagdfreund Michael und ich mal wieder gemeinsam ansitzen.
Wir wählten die Fledermauskanzel aus, die reichlich Platz für Zwei bietet und fast immer für Anblick gut ist.
Es war einige Tage vor der Sommersonnenwende des Jahres 2012. Nach reichlich Regen in der letzten Zeit hatten wir einen schönen Sommertag. Die klare Luft und die scharfe Silhouette der Fichtenwälder am Horizont zeigten jedoch schon an, dass schon bald wieder der Regen das Wetter bestimmen würde. Wir genossen aber unbeschwert die Atmosphäre und Stimmung des Abends, tauschten leise Gedanken über diese und jene Dinge aus, schwiegen aber auch viel.
Eine Jagdwaffe hatte Michel gar nicht erst mit gebracht. Wohl aber seine Kamera. Ich hatte hingegen meine Fotokiste im Auto gelassen.
Wenige Tage zuvor hatte ich schon allein auf dieser Kanzel gesessen und schon einen jungen Rothirsch sowie eine Fuchsfähe mit zwei Jungen gesehen. Diese Familie Reineke erschien heute wieder. Ich stellte fest, dass die Welpen schon selbstständiger geworden waren. Sie würden allerdings noch eine Zeit lang die Führung durch die Mutter brauchen.
Vor einem Fichtenjungwuchs, etwa 70 Meter von der Kanzel entfernt, befindet sich ein Salzleckstein auf einem etwa zwei Meter hohem Baumstumpf. Es ist anzunehmen, dass ein Sturm hier vor vielen Jahren eine Fichte einige Meter über der Erde abgebrochen hat, und dass der Förster den Stumpf in der Höhe passend für eine Sulze absägen ließ. Das Wild kann nicht unmittelbar mit seinem Lecker an das Salz sondern muss die vom Regenwasser an den Baumstamm aufgeschwemmten Salzteilchen aufnehmen. Davon macht es auch rege Gebrauch, denn das Salz ist insbesondere beim Haarwechsel im Frühjahr und Herbst ein willkommenes Element. Die Baumrinde ist von allen möglichen Tieren restlos abgeknabbert.

Nach etwa einer Stunde gegen 20 Uhr teilten sich plötzlich die Fichtenzweige hinter dieser
Stammsulze und ein mächtiges Geweih wurde sichtbar. Ein Hirsch stattete dem Delikatessen-stand seinen Besuch ab. Wir Beobachter zogen gleichzeitig mit ganz langsamer Bewegung so zu sagen die Gardinen zu, indem wir mit unseren Mückenschutz- und Tarnnetzen unsere Gesichter bedeckten. Rotwild schaut nämlich auch nach oben, bemerkt den Jäger also auch auf einer hohen Kanzel und ein helles Gesicht natürlich besonders. Ich flüsterte überflüssigerweise „Fotos machen“ und Michael flüsterte zurück, dass er schon dabei sei.
Der Hirsch begnügte sich nicht mit einer kleinen Prise des Gewürzes sondern schleckte ausgiebig. Er konnte gar nicht genug von dem begehrten Mineral bekommen. Er stand mal frontal mal quer zu uns. Ein Fuchs, Michael meinte, es sei die Fähe, war plötzlich unmittelbar dabei, als wollte auch er von dem Salz wenigstens etwas abbekommen.
Er lief mehrfach zwischen den Vorder- und Hinterläufen unter dem Hirsch her, den das anscheinend überhaupt nicht störte. Intensiv wurde von ihm der ganze Baumstumpf abgeleckt. Es dauerte eine halbe Stunde, während der wir sein noch im Aufbau und Bast befindliches Geweih und seinen Körperbau studieren konnten. An der linken Stange war die Eissprosse nur ein kleiner Fortsatz. Ein Merkmal, an dem man den Hirsch später gut wieder erkennen würde. Im Übrigen waren wir uns einig, dass er noch recht jung sein musste, denn er war schlank und typische Altersmerkmale wie Vorschlag und Mähne hatte er noch nicht.

In einer winzigen Bestandslücke sahen wir plötzlich ein weiteres, noch stärker erscheinendes Bastgeweih. Es gehörte einem weiteren Kolbenhirsch, der uns auch stärker im Körperbau und älter erschien.

Der Hirsch an der Sulze war also nur der Adjudant. Der Chef zeigte kein Interesse an der Sulze. Er hatte es auch nicht eilig, wollte aber auch nicht bleiben und zog nach rechts ab. Sein Adjudant ließ von der Sulze ab und folgte.

Derweil saß einer der Jungfüchse auf einem umgestürzten faulendem Stamm und beobachtete die beiden über die Schneise abziehenden Recken.

Am Tag vor meiner Abreise saßen wir noch einmal gemeinsam auf derselben Kanzel an.
Ich hätte gern noch ein Schmalreh oder Jährlingsböckchen erbeutet. Sehr bald schon bemerkten wir ganz nah vor uns eine hellrote Decke. Ein Bock, ein Gabler, hatte sich in der hohen Bodenvegetation von Gräsern, Disteln und Beerensträuchern aus seinem Bett erhoben. „Den kenne ich. Den lasse ich laufen.”€œ sagte ich sofort. So hatte Michael alle Zeit, den Gabler auf zu nehmen.

Je später der Abend, .................... Nach einer knappen Stunde tippte Michael mich auf die Schulter und zeigte aus dem rechten Fenster des Hochsitzes. Da schob sich aus den Erlen ein Geweih gefolgt von unserem Bekannten, dem Adjudanten. Dass er es war, sahen wir an der winzigen linken Eissprosse. Der Hirsch zog langsam, zwischendurch immer wieder äsend auf uns zu, um dann etwa 20 Meter vor uns auf der anderen Seite der Schneise in einem schmalen Fichtenbestand zu verschwinden. Aber schon nach einer knappen Minute sahen wir ihn auf die Freifläche vor uns austreten. Ohne jede Hast bummelte er dort herum. Blieb immer wieder stehen und besah sich die Welt. Letztlich stand er dann aber doch wieder an der Sulze und tat sich am Salz gütlich.

Von der ganzen Szene drehte Michael dann kleine Videos und schoss weitere Aufnahmen. Jetzt fehlt nur noch der Chef, dachte ich, als auch dieser an der gleichen Stelle aus den Erlen trat und den Weg wie sein Adjudant nahm.
Jetzt konnte man beide Hirsche noch bei vollem Tageslicht miteinander vergleichen und erkennen, dass der Alte doch wohl etliche Kilos mehr an Gewicht hatte. An der Innenseite eines Hinterlaufes zwickte ihn aber wohl eine Zecke oder sonstiges Ungeziefer. Jedenfalls kratzte er sich dort mit dem Ende eines Geweihs. Ich habe schon häufiger gesehen, dass sich Wild mit einem Hinterlauf kratzt, aber ein Kratzen mit dem Geweih habe ich noch nie beobachtet.
Ganz kurz tauchte auch die Fuchsfähe wieder auf und lief auf den Chef zu, als wenn sie ihn begrüßen wollte. Sie blieb aber dann im hohen Bodenbewuchs unsichtbar.

Wieder verzichtete der ältere Hirsch auf den Salzgenuss, und die beiden Herren verließen langsam die Szene.

Horüdho!
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Den Schöpfer im Geschöpfe ehren!

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