Dezembernebel zwischen Egge und Weser

Bis Altenbeken hatten am Samstagnachmittag noch Sonne und Mond gleichzeitig geschienen. Nachdem ich aber die Egge über den Rehberg passiert hatte, war die Landschaft vom Nebel verhüllt.

Dennoch setzte ich mich in der Nacht auf Wildschweine an, denn der Dezembermond stand hoch und schien sehr kräftig, und wenn er drei Viertel seines Ziels erreicht hat, bietet er oft auch dann noch ausreichendes Licht für einen sicheren Schuss, wenn sich Wolken vor ihn schieben. Nur dichter Nebel, Schneeflocken oder prasselnder Regen dürfen es nicht sein.

Auf die geräumige Kanzel hatte ich Ela und Akira mitgenommen. Ganz wohl war mir dabei nicht, denn Akira, diese kleine Zicke, ist jederzeit für eine unangenehme Überraschung gut. Sie will einfach nicht erwachsen werden. Und dass meine Befürchtung berechtigt war, bewies sie auch heute. Kaum hatten wir drei uns auf der Kanzel häuslich eingerichtet, als sie ganz unvermittelt laut anschlug. Ob sie dafür einen Grund hatte, weiß ich nicht. Ich brachte sie jedenfalls sofort eindringlich zur Ruhe.

Vor mir lag eine kleine, forstlich nicht genutzte Freifläche, die wir früher als Wildacker nutzen konnten. Nachdem aber die Bodenbearbeitung mit Hilfe der Chemie durch die Erklärung des Gebietes zum fauna flora habitat (ffh-Gebiet) verboten ist, ist die Stelle jetzt im Sommer den Brennnesseln und Schmetterlingen überlassen, denn mit landwirtschaftlichen Geräten kann der mit Steinen durchsetzte Boden nicht bearbeitet werden.

Wie ich erwartet hatte, war das Büchsenlicht ausreichend, und die Konturen von Wildschweinen wären gut zu erkennen gewesen, denn auch die Stämme der Buchen auf der anderen Seite der Fläche waren durch den Nebel gut auszumachen.

Stille war im Wald an diesem Abend. Kein stärkerer Wind, der die Bäume zum Rauschen brachte. Der Dauerlärm wurde von der hohen Luftfeuchtigkeit abgeschirmt, nur die Flugzeugmotoren vernahm ich von Zeit zu Zeit.

Meine Hunde schliefen neben meinen Füßen auf einer warmen Decke. Es ging ihnen offenbar gut, schon weil sie mit auf dem Hochsitz waren.

Rechts vor mir im Hang war plötzlich ein fast menschlich anmutendes hysterisches Gekreisch. Wie viele Laute gibt es doch nachts im Wald, die du immer noch nicht kennst, ging mir durch den Kopf, als Akira auch schon wieder meinte, über die Störung ihrer Nachtruhe kräftig schimpfen zu müssen. Ihren Protest konnte ich aber im Kein ersticken. Das war eigentlich eine gute Übungsmöglichkeit, die mir ein Reh da beschert hatte. Dass es ein Reh, vermutlich eine Ricke war, hatte ich mittlerweile an den zwischen das Gekreische geschobenen Böhlauten erkannt. Und Ruhe gab dieses Reh nicht. Es nahm vor allem auch keinen Ortswechsel vor. Was mochte die Ursache für die Aufregung sein? Sauen? Damwild?

Akira benahm sich aber wenigstens ordentlich und blieb ruhig. Dann zog auch die Ricke wohl weiter, denn ich hörte ihr Geschimpfe dann doch noch höher im Hang und zuletzt von jenseits der Kuppe. Die Stunden vergingen. Der Nebel war mal dichter, mal durchlässiger.
Jetzt, als ich ein Rauschen im Laub vom Emdebach her vernahm, wurde er undurchdringlich.

Das war doch das typische Trippeln von Sauen, das ich da hörte. Jetzt war an Schießen überhaupt nicht zu denken. Und jetzt kamen sie an die Kirrung. Etwa dreißig Meter vor mir ließen sie sich den Mais schmecken und unterhielten sich dabei, genau wie Hausschweine bei Willi in der Mästerei. Wie viele es waren weiß ich nicht. Es müssen mindestens zwei, es können aber auch wohl vier gewesen sein. Sehen konnte ich keins.

Wie oft ist mir das nun schon passiert, dass ich nicht schießen konnte, weil just als die Sauen kamen, ein Regenguss herunterkam oder sonst ein schützendes Hindernis auftrat.
Wer jagen will, muss eben frustfähig sein. Sonst sollte er es besser lassen. Akira hatte nur kurz geknurrt, war dann auf meine Intervention hin aber mustergültig ruhig. Na, das war doch wenigstens ein schöner Erfolg!

Etwa eine viertel Stunde blieben die Wildschweine und zogen dann hangaufwärts ab in die Richtung, aus der die Ricke geschreckt hatte. Als ich nach einer weiteren viertel Stunde abbaumte, konnte ich den Mond am Himmel sehen. Die Fläche vor der Kanzel war aber noch von Nebel verdeckt.

Für die nächsten Nächte hatte ich ein Forumsmitglied um Verstärkung gebeten. Aber einmal mussten wir schon frühzeitig unseren Ansitz beenden, weil keine Aussicht auf Besserung der Sicht bestand. An einem anderen Abend waren Sauen zwar da, aber nicht dort, wo wir saßen.

Dann frischte der Wind auf und blies aus Nord. Die Nebelwalze zwischen Egge und Weser löste sich auf. Der Nordwind schränkte aber unsere Ansitzmöglichkeiten auch ein, denn es ist ja sinnlos, sich an einen Platz zu setzen, wenn der Wind in die Richtung bläst, aus der das Wild vermutlich kommt. Die Nasenleistung von Schalenwild ermöglicht es den Tieren dann schon auf zweihundert Meter Entfernung den Erzfeind Mensch wahrzunehmen.

An einem Abend unterschoss ich dann eine Sau ganz klar, wie mir der Schweißhundführer an nächsten Tag eindeutig belegte. Hätte der Forumsfreund an diesem Abend auf meiner Kanzel gesessen, wäre die Sauenstrecke des Jahres wahrscheinlich um ein Stück besser gewesen. Und ich hätte mich mit dem Jungjäger über seine Sau gefreut. So war ich aber nun schon Tage im Revier ohne Jagderfolg. Auch Ansitze bei Tage auf Rehwild waren erfolglos. Ich bekam bei dem windigen Winterwetter nicht einmal Wild zu Gesicht.

Der Frusteimer wurde voller, der Vollmond kam, aber auch der vorgesehene Termin meiner Abreise aus dem Revier nahte. In der Vollmondnacht wollte ich aber noch ansitzen und hatte mir wieder die Kanzel ausgesucht, an der einige Tage zuvor der Nebel die Sauen beschützt hatte. Das Wetter war saumäßig. Das Licht reichte aber vollends. In dieser Nacht war ein ständiges Rauschen im Wald. Es war, als wenn die Erde immer wieder schwer Atem holte. Manchmal ertönte ein Knacken, wenn ein morscher Ast abbrach und auf den Boden polterte. Wenn ich dann warm eingemummelt in meiner Kanzel sitze, genieße ich dieses Alleinsein im Wald.

Der schwarze Fleck da auf der Freifläche war doch eben noch nicht da. Eine Sau! Und noch acht andere. Ich hatte sie nicht kommen hören. So sind sie. Mal kommen sie lauthals als krakeelende Bande, mal schleichen sie wie die Indianer. Eine Bache sah ich nicht. Ob sie im Schutz der Dunkelheit wartete? Das Geschehen vor mir war sehr lebhaft. Keiner von den Frischlingen wollte still, allein und breit stehen. Endlich passte es aber doch, und als das Mündungsfeuer vorbei war, sah ich meine Beute noch einige Male schlegelnd am Platz. Nach vielen vergeblichen Ansitzen in den letzten Monaten endlich wieder eine Sau!

Der Transport in die Wildkammer war nicht allzu schwierig, da ich mit dem Wagen fast an den Erlegungsort fahren konnte. Aber vor dem Aufbrechen musste der Kujel erst einmal ordentlich abgespritzt werden, sonst wäre ein sauberes Arbeiten nicht möglich gewesen. Und die Sau war so matschig, dass ich auch die Hunde erst nach der Reinigungsprozedur an das Stück gelassen habe. Sie durften jetzt die Schwarte zausen und jetzt durfte auch Akira mal wieder richtig bandusen.

Als ich dann die Sau aufgebrochen, gewogen, den Keller ausgespritzt und die Hunde noch einmal ausgeführt hatte, waren seit der Erlegung doch schon fast drei Stunden vergangen.

Danach habe ich gut geschlafen. Am nächsten Tag musste ich heimreisen. Mit dem Frischling im Kofferraum. Lieber hätte ich ihn noch in der Wildkammer aufgehängt abgeschwartet. So musste ich ihm aber nun daheim wegen Fehlens einer entsprechenden Aufhängevorrichtung auf einem Gartentisch den braunen Kittel ausziehen. Meine Frau hat davon einige Bilder gemacht.

Sie hilft mir auch beim Einfrieren der Bratenportionen und vor allem bereitet sie … Rippchen mit Honig-Sojasauce und Apfelsinensaft … aber ich will hier niemandem lange Zähne machen.

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