Ein Septembertag

Es gibt Monate im Jahr des Jägers, die weniger ereignisreich sind. Für mich ist aber der September immer ein Monat mit besonders vollem Terminkalender und wenig Zeit für nicht jagdliche Unternehmungen. Nicht nur, dass im September viele Hundeprüfungen sind, auf denen ich mich immer (noch) gern herumtreibe. Mit dem letzten Tag im August endet die Schonzeit für weibliches Rehwild und für Damwild. Und was man jetzt im September bei gutem Büchsenlicht und tagaktivem Wild ernten kann, muss man am Ende der Jagdzeit, wenn die Tiere Ruhe benötigen, nicht mehr erjagen. Auch mit Frau Luna, die ja im Sommer sehr zurückgezogen lebte, lässt sich jetzt schon etwas besser reden. Eicheln und Bucheckern sind Anfang des Monats noch auf den Bäumen. Das Schwarzwild ist also eher bereit, einmal an der Kirrung vorbeizuschauen.

Nach Baujagdseminar und Hundeeignungstest im Sauengatter zog es meine Frau und mich daher, wenn auch nur für gut einen Tag, hinaus ins Revier.

Im Anschluss an einem kurzen Abendimbiss suchten wir unsere vorgesehenen Hochsitze auf, aber am Tekler Berg, wo ich mich postiert hatte, tat sich gar nichts. Meine Frau hingegen hatte im Kirchgrund an dem großen Wildacker wenigstens etwas Anblick. Eine einzelne Ricke war von rechts aus dem Wald getreten und hatte sich etwa eine drei viertel Stunde an den reifen Ackerbohnen gütlich getan, ehe sie sich wieder zurückzog. Zwar hatten auch kurz zwei Kitze im Stoppelklee an der anderen Seite des etwa einen Hektar großen Wildackers getobt, allerdings keinen Kontakt zu der Ricke gesucht und waren bald wieder im Walde verschwunden. Für den nächsten Morgen nahm ich mir dann die Kanzel im Kirchgrund als Ansitzplatz vor.

Im Morgengrauen fuhr ich allerdings zunächst mit den Hunden hinaus in die Feldmark. Sie sollten sich hier lösen und dann, während ich auf der Kanzel weilte, genau wie zuhause ihren Morgenschlaf im Auto halten.

Das Tageslicht setzte sich inzwischen durch, aber der Fuchs braute noch in den Wiesen und Stoppeln. Weiße Nebelschleier lagen auf der noch nicht vom Lärm erfüllten Landschaft und im Nordosten war der Himmel leicht gerötet.
Ein schönes Gedicht von Mörike beginnt mit den Worten: "Im Nebel ruhet noch die Welt". Und dieses Gedicht fiel mir ein, als ich so zu dem Hügel hinüberschaute, der im Volksmund Ziegenbeutel heißt. Ich glaube, das Gedicht heißt sogar "Septembermorgen".

Viel Zeit, die Stimmung und Ruhe zu genießen, blieb aber nicht und bald hatte ich meine Kanzel bezogen. Direkt vor dem Hochsitz verläuft ein Holzabfuhrweg, der an einer Seite mit hohen Disteln besäumt ist. Und in den Distelblüten war Leben. Zwei Vogelpaare turnten zwischen den Fruchtständen. Die Mönchsmeisen waren mir ja bekannt, aber die anderen sah ich erstmals. Etwas größer als die Meisen waren sie, hatten eine gesperberte Brust, der Rücken war in verschiedenen grau-braun Tönen und das Männchen hatte auf den Schwingen zwei kleine senkrechte goldene Streifen wie an einem Ärmel eines Flugkapitäns. Die beiden fremden Gäste waren bald weitergeflogen, aber die Meisen blieben. Sie zupften zuerst die weißen zum Lufttransport der Distelsamen bestimmten Fäden aus den Blüten und knackten dann die Schale des Samenkorns, dass die Spelzen nur so flogen. Dabei redeten sie ständig Meisenprosa.

Die Sonne war inzwischen über den Berg gekommen und beschien etwa ein Viertel des Wildackers. Von rechts aus dem Wäldchen kam eine einzelne Ricke, die nach der Beschreibung meiner Frau auch am Vorabend dort ausgetreten war. Auch ihr Aussehen und Verhalten entsprach dem am Vorabend beobachteten, und wieder knabberte sie drei viertel Stunde an den Bohnenschoten. Die hat sicher ihr Kitz oder ihre Kitze verloren, war mein Gedanke. Sonst ließ sich kein Wild sehen, und nachdem sich die Ricke zum Wiederkäuen zurückgezogen hatte, baumte auch ich ab, um zum zweiten Frühstück zu fahren.

Von meinen Mitjägern erfuhr ich, dass auch sie die Ricke dort schon mehrfach allein beobachtet hatten. Da sie ja mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keine Kitze mehr führte, sollte ich sie am Abend erlegen.

Der Tag verging mit den üblichen Revierarbeiten. Unter anderem legte ich mit Buchenholzteer einen neuen Malbaum für Wildschweine an. Ich weiß nicht, warum Sauen so gerne ihre Schwarte mit dem Buchenholzteer parfümieren. Jedenfalls lieben sie das schwarze pechartige Zeugs. Vielleicht vertreibt es ja Ungeziefer.

Statt eines Mittagsschläfchens in der Gluthitze der Dachstube verbrachte ich aber zwei Stündchen auf einer anderen Kanzel im schattigen Hochwald, allerdings ohne Anblick. Vom Auto aus sah ich aber an diesem Tage immer wieder an den bekannten Plätzen Damwild. Die gute Stimmung, die ich üblicherweise draußen im Jagdrevier habe, wollte aber nicht aufkommen. Ich musste immer an die Ricke denken, die ich abends schießen sollte. Und ich kam mir vor, wie ein gemeiner Kerl, der Böses im Schilde führt. Natürlich war es richtig, diese Ricke zu schießen. Hege mit der Büchse hieß so etwas früher im Jägerkursus.

Als ich abends wieder die Kanzel besetzte, hoffte ich insgeheim, dass die Ricke heute ausbleiben möchte. Und sie konnte wohl meine Gedanken lesen. Ich sah kein Haar von ihr.

Aber aus dem Buchenhochwald links kam eine Rehfamilie in den Hafer. Ich erkannte die Ricke wieder, die schon im August noch während der Schonzeit mit ihren drei Kitzen hier geäst hatte. Von den Dreien hatte ich mir das schwächere Rickenkitz damals als gelegentliche Beute vorgemerkt. Als der Schuss gefallen war, blieb das Bockkitz noch eine Weile verwundert stehen, um dann aber in hohen Sprüngen Mutter und Schwester zu folgen.

Nachdem ich mein Auto mit der Wildwanne näher geholt hatte, sprang Ela immer wieder an mir hoch. Es hat doch geknallt. Du musst mir doch jetzt den langen Riemen zur Nachsuche anlegen, schien sie mir sagen zu wollen. Nachzusuchen war aber nichts, und so schickte ich beide Hunde unter Wind in die Richtung, wo das Kitz lag. Aufgeregt verbellten sie es.

Als ich in meine Dachstube kam, um das notwendige Werkzeug zum Aufbrechen zu holen, war in der Scheibengardine ein schwarzer Fleck. Bei näherem Hinsehen erwies sich dieser Fleck als eine Fledermaus, die sich mit ihren Krallen im Tüll verfangen hatte. Ich schlug vorsichtig die Gardine ganz um das kleine Säugetier und machte mich wieder die Treppen hinunter.
Es kommt öfter vor, dass sich junge Schwalben oder Stare in meinen Gardinen verfangen. Die kann ich einfach aus dem Fenster werfen, und sie fliegen. Bei Fledermäusen geht das aber nicht. Es würde für sie den sicheren Tod bedeuten. Sie würden auf der Erde aufschlagen, ohne die Flügel geöffnet zu haben.

U
nten legte ich die Gardine dann offen aus. Nachdem meine Frau noch ein Foto von dem Fledertier gemacht hatte, pumpte es ähnlich wie ein Maikäfer vor dem Start und macht sich fort auf die Jagd nach Insekten.

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