Ein Tag im August

Wir haben Samstag, den 27. August und obwohl das Wetter besser werden sollte, war ich nicht zum Frühansitz draußen. Zum gemütlichen Frühstück komme ich aber auch nicht, denn unser nördlicher Reviernachbar hat angefragt, ob ich wohl mit Ela einen im ersten Tageslicht beschossenen Frischling nachsuchen könnte. Am Anschuss läge ein Stückchen Leber, aber die Sau sei noch in die Buchennaturverjüngung gezogen. Er fände aber keinen Schweiß mehr und wollte auch nichts kaputt trampeln.
Ich lege Ela erst einmal abseits vom Anschuss ab und lasse ihn mir dann zeigen. Das Stückchen Leber erweist sich aber als riesiger Flatschen und mit solch einem Schuss konnte der Kujel wirklich nicht mehr weit gegangen sein. Angesetzt macht Ela dann aber gar keine Anstalten ernsthafter Arbeit sondern nimmt sofort den Kopf hoch und zieht nach rechts, also gar nicht erst in die Naturverjüngung hinein. Dann sehe ich den Frischling auch schon im hohen Grase liegen, keine zehn Meter vom Anschuss entfernt. Er hatte gar nicht mehr die Kraft gehabt, sich in den dichten Bewuchs einzuschieben. Fünfzehn Kilo mag er schwer sein, wenn er aufgebrochen ist. Die Sau hatte also keinen langen Todeskampf gehabt, aber Ela und ich wären natürlich gern etwas mehr gefordert gewesen.

Nun, da wir hier überflüssig, aber ja doch schon auf den Beinen sind, werden die eigenen Kirrungen kontrolliert. Sauen waren in der Nacht nicht da. Waschbären wieder jede Menge. Denen müsste man mit Kastenfallen beikommen. Aber Fallenjagd kann nur betreiben, wer ständig im Revier ist, denn die Fallen müssen ja täglich kontrolliert werden, und unser ortsansässiger Mitjäger hat dazu keine Lust.

Nach einem kurzen Frühstück schnappe ich mir dann einen großen Eimer und fahre, so weit ich kann, an eine inzwischen wegen Baufälligkeit umgesägte Kanzel. Von meinem Parkplatz bis dahin sind es noch etwa hundert Schritte. Das Holz dieser Kanzel wird das Wetter wieder in Humus verwandeln, aber das Eternitdach muss aus dem Wald entfernt werden. Wir haben es zerschlagen. Die Bruchstücke müssen nun aber Eimer für Eimer zum Auto getragen werden. Während ich die Scherben aufsammele, fällt mein Blick auf die erst vor zwei Jahren erneuerte Leiter des Hochsitzes. Damals hatte ich den Förster der nahen Kleinstadt angerufen. Der Wald, an dem die Kanzel stand, gehört zwar zu unserem Revier, er steht aber nicht im Eigentum unseres Revierverpächters. Das Gelände ist unserem Revier arrondiert und unser Verpächter hat im Gegenzug Gelände aus seinem Besitz jagdlich an ein Jagdrevier der Kleinstadt abgetreten.

Bei Durchforstungsarbeiten des kommunalen Waldes waren etliche Stangen, die wohl zu gering waren, liegen geblieben. Die wollte ich nun für die Erneuerung der Leiter dem Förster abkaufen. Der lachte aber nur darüber und meinte, das Schreiben der Rechnung sei teurer als das Holz. Er könne es wohl verantworten, uns die Zöpfe zu schenken. Und die aus den Zöpfen gebaute Leiter ist noch gutes kerniges Holz. Richtig für einen Überstieg, denke ich.
Ich habe eine Klapphandsäge von einem Lebensmitteldiscounter im Wagen, Hammer und Nägel sowieso. Die Säge war spottbillig, schneidet aber wie Gift. Nicht gerade schnell, aber beharrlich schaffe ich es, von der Leiter zwei Teilstücke abzusägen, die über einen Stacheldrahtzaun gegeneinander gelehnt werden.


W
ährend der Arbeit habe ich Ela und Akira abgelegt. Ela bleibt auch liegen, Akira aber schleicht sich heimlich davon und fängt in der großen Schweinewiese Mäuse. Auf meinen Pfiff kommt sie aber sofort, und nun geht es zunächst mit den Hunden und dem Scherbeneimer zum Auto. Ich muss nämlich noch wieder ins Dorf, um Querstreben und weitere Nägel zu holen. Während ich dann den Überstieg endgültig fertig stelle, passe ich aber auf die kleine Ausreißerin besser auf. Das merkt sie natürlich und bleibt jetzt mit Unschuldsmiene wie ihre Mutter am Platz.

Bei den letzten Feinarbeiten verliert meine kleine Säge eine Gegenmutter und ist nun funktionsunfähig. Wann lernst du endlich, dass man beim Kauf von Werkzeug nicht sparen darf, geht es mir durch den Sinn.

Es ist zwei Uhr, als ich mir den letzten Reibekuchen mit Apfelmus schmecken lasse. Jetzt schnell die Wirbelsäule entlasten und eine halbe Stunde Mittagsschlaf. Um halb drei weckt mich die Kreissäge eines Nachbarn. Im Sommer sind die Stunden am Samstagnachmittag immer die lärmreichsten im Dorf. Nicht nur die Bauern machen dann Krach, auch die Nichtlandwirte, die unter der Woche auswärts ihren Berufen nachgehen, sorgen dann für den Holzvorrat, mähen ihren Rasen oder werkeln an ihren Häusern. Jeder Vorgarten im Dorf ist bestens gepflegt, jedes Haus tip top in Schuss und der Samstag-Nachmittags-Lärm hört bei gutem Wetter erst auf, wenn der Engel des Herrn geläutet wird.

Auch ich habe heute im Hause noch zu tun, zumal es morgen wieder heimwärts geht. Nach dem Abendbrot stellt sich die Frage, wo ich mich ansetze. Bei Nordwestwind gibt es ohnehin nicht viel Auswahl. Ich entscheide mich für die Kanzel am großen Wildacker im Kirchgrund. Mitjäger Dirk hat dort eine Ricke mit drei Kitzen bestätigt und ist fest davon überzeugt, dass es nicht die Ricke mit den drei Kitzen vom nahe gelegenen Tekler Berg ist.

Wenige Minuten nach acht Uhr stehen plötzlich drei braune Flecken am Waldrand. Zwar unterschiedlich braun, aber eben braun. Drei Kitze? Ja, jetzt tritt auch eine starke rote Ricke mit den typisch eingefallenen Flanken aus. Sind es wirklich drei Kitze, oder ist das helle braune ein Schmalreh, das von der Ricke geduldet wird?

Der Wildacker war mit Hafer und mit Bohnen bestellt. Sowohl der Hafer als auch die Ackerbohnen sind vom Wild, insbesondere von Sauen, stark gelichtet. In den Hafer habe ich Stoppelklee gesät. Aber den will das Rehwild heute nicht. Die Stücke ziehen in die Bohnen und kommen mir immer näher. Jetzt kann ich sie ganz eindeutig ansprechen. Es sind tatsächlich drei Kitze. Bei dem Bockkitz sehe ich die Knubbelchen auf dem Haupt. Ein Rickenkitz ist sehr gut bei Wildbret, und eins ist wesentlich schwächer. Das könnte ich jetzt gut erlegen. Es steht ruhig und breit etwa fünfunddreißig Gänge vor mir etwas abseits von seinen Geschwistern und der Mutter. Es hat aber noch Schonzeit.

In der Dämmerung ist es jetzt wunderbar ruhig geworden. Ein Tauber ruft, und als er von seiner hohen Fichte aufsteigt, klatscht er laut mit den Flügeln einmal aneinander. Zwar zetert gelegentlich mal eine Drossel, aber das Singvogelvolk veranstaltet im August keine Abendkonzerte mehr. Ich höre zu, wie die Rehe an den Ackerbohnen knuspern, und wie sich die Mäuse aufgeregt die Meinung sagen. Nur selten fährt noch ein Auto über die Kreisstraße nebenan. Fluglärm höre ich allerdings alle paar Minuten. Fledermäuse gaukeln vor mir hin und her. Ich habe den Eindruck, es würden immer mehr. Die Ricke zieht mit ihren Kitzen wieder in den Wald. Jetzt naschen alle vier aber doch noch vom Rotklee in den Stoppeln. Es wird jetzt langsam dunkel. Ein Waldkauz ruft erst sein Kiwitt und schließt das geheimnisvolle Schaluschalaschaluuuu an. Und ich stehle mich ganz leise von der Kanzel.


Alte Buchengesichter

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