Eine halbe Winternacht im Waldrevier

Seit Donnerstag bin ich schon wieder in den kleinen Dörfchen unmittelbar an unserem Revier. Ela und Akira haben ihre Hitze noch nicht überwunden, und so muss ich immer aufpassen, dass der Dackelmischling Raudi oder andere Kavaliere aus der Nachbarschaft die Damen in Ruhe lassen. Im Revier sind wir aber unter uns und die beiden können tagsüber draußen so richtig toben, während ich Arbeiten zu erledigen habe. Auf eigene Faust jagen sie nicht, wohl wissend, dass es Beute ohnehin nur gibt, wenn sie bei mir sind.

Der Buchenwald ist in diesen regnerischen Januartagen braun. Nur das Moos auf den Baumstubben setzt kleine grüne Flecken in das nasse Laub auf dem Boden. Aus den eingestreuten Fichtenhorsten höre ich das wehmütige Puip der Dompfaffen. Die Meisen, die sonst schon im Januar mit ihrem Spindicke und Zizidä den Vorfrühling verkünden, bleiben stumm. Sie sind eben Sonnenfans, die sich bei diesem schlechten Wetter auf die Nahrungssuche konzentrieren. Auch das Wild verlässt bei der nassen winterlichen Witterung seine Einstände kaum. Energiesparen durch Ruhe ist für die wiederkäuenden Schalenwildarten Reh und Damhirsch angesagt.

Es geht auf den Vollmond zu und mit einigen Mitjägern soll versucht werden, noch wenigstens ein Wildschweinchen zur Lieferung leckerer Bratenstücke zu überreden. Die Schwarzwildausbeute in unserem Revier war nämlich in diesem Jagdjahr äußerst bescheiden. Im Gegensatz zu früher, als es in unserem Revier noch reichlich Dickungen und Jungwuchs gab, sind die Schwarzkittel bei uns nämlich nicht mehr Standwild. Aus den Dickungen ist Stangenholz geworden, durch das der Wind ungehindert hindurch pfeifen kann. Sauen wollen es warm haben und haben sich daher ihre Standquartiere bei unseren Reviernachbarn gesucht. Nur wenn sie auf Durchreise sind, gelingt es noch dann und wann ein Stück zu strecken. Stunden um Stunden haben wir schon in der jetzigen Woche angesessen. Selbst bei Regenwetter bietet der Mond in diesen Tagen ausreichend Licht für den Ansitz auf Schwarzwild an der Kirrung. Die Sauen aber husten uns etwas und kommen, wenn überhaupt, erst dann an die Kirrung, wenn der Jäger seine vom langen Sitzen steifen Knochen im Bett ausstreckt. Gut, dass wir nicht wie unsere Altvorderen von der Jagd leben müssen.

Zum Wochenende hat der Wetterbericht Schnee und Frost angekündigt und die Prognose ist auch wahr geworden. Schneetreiben und Frost hatte der Sonntag gebracht. Das richtige Wetter für die Nachtjagd auf Schwarzwild also. Heute war ich allein im Revier. Freund Horst hatte wegen der glatten Straßen die Fahrt gescheut und Dirk wollte wenigstens den Sonntagabend bei seiner Familie bleiben. Aus verschiedenen Gründen jage ich lieber gemeinsam mit Freunden als allein auf Schwarzwild. Aber das war eben heute nicht möglich.

Die Kanzel meiner Wahl lag ungefähr zweihundert Meter vom befahrbaren Waldweg entfernt in einem Buchenaltholz, unweit eines vier Hektar großen 60 Jahre alten Fichtenbestandes. Mit einigen Händen voll Mais, der unter Steinen im Abstand von etwa 20 Metern versteckt war, sollten die Sauen angelockt werden. Als ich auf die Kanzel zupirschte, konnte man in dem stillen Wald sehr gut meine Schritte vernehmen. Bei Schnee kann man nicht gut pirschen. Ist er verharscht, sind die Schritte des Jägers besonders weit zu hören. Aber auch frisch gefallender Pulverschnee ist keineswegs schalldämpfend wie Watte. Die der Schneedecke entweichende Luft beim Auftreten verursacht ein gut hörbares quakendes Geräusch. Und auch bei Pappschnee kann man nicht so geräuschlos gehen, wie auf feuchtem Waldboden.

Trotz des verhangenen Himmels betrug die Sicht fast hundert Meter. Wenn der Himmel aufklaren und der Mond ungehindert leuchten sollte, wäre es fast zu hell, sinnierte ich. Andererseits hatte ich schon Erfolg auf Schwarzwild bei Schnee und strahlendem Mondschein gehabt. Also abwarten.

Es klarte tatsächlich auf und nach einer Stunde war eine zauberhafte Stimmung im verschneiten Wald, da alle Äste noch mit Schnee bedeckt waren. Es war nicht windstill, in das Rauschen der Fichten vor meinem Hochsitz tönte von Zeit zu Zeit das Klappern eines wohl nur noch lose am Baum hängenden Astes. Kein Verkehrslärm, der ja sonst fast überall die Luft erfüllt, war zu hören. Der Mond und die vor ihm ziehenden Wolken schufen immer neue Bilder mit wandernden Schatten im Wald. In solchen Situationen ist es ein Geschenk, draußen allein sein zu dürfen.

Ich hörte Schritte im Laub und erkannte an ihrem Geräusch, dass Rehwild anwechselte. Zuerst sah ich ein Kitz und dann die jetzt kaum noch größere Ricke. Sie zogen näher und im Laub schlugen sie kaum einen Steinwurf entfernt nach restlichen Bucheckern. Der Knall eines Schusses im Nachbarrevier ließ sie nicht einmal aufwerfen. Etwa eine halbe Stunde freute ich mich schon über ihren Besuch, als sie plötzlich fluchtartig absprangen. Und da kamen auch schon zwei schwarze Brocken, gefolgt von einem Dritten, durch den Schnee gestoben.

Die beiden Ersten stritten an der Kirrung und nach einem kurzen Schmerzlaut zog einer der beiden ab nach links, während der Dritte sich noch etwas abseits hielt. Frischlinge, ohne Bache, aber auch inzwischen alt genug, um ohne ihre Mutter das Leben zu meistern.

Die nach links gezogene Sau warf aber nicht den Stein hoch, um sich am Mais gütlich zu tun. Sie reckte ihren Wurf hoch in die Luft um den Wind zu prüfen. Ich befürchtete schon, sie würde abspringen und natürlich die beiden anderen Kujels mitnehmen. Es ging alles sehr schnell und als der Knall verhallt war, sah ich den Frischling flüchten.

Ach du liebe Zeit! Ich bin doch gut abgekommen! War ich wieder zu hastig? Hätte ich doch besser auf den Schuss verzichten sollen? Aber erst einmal Ruhe! Dort wo die Sau gestanden hatte, fand ich trotz Schnee und Taschenlampe keinen Schweiß. Ich folgte der Fluchtfährte und fand nach etwa 25 Schritten den ersten roten Tropfen. Das sieht ja böse nach Streifschuss aus! Und ich war doch gut drauf! Da ich einen Frischling beschossen hatte, entschloss ich mich mit Ela nachzusuchen. Wäre es ein Überläufer gewesen, hätte ich nur den gefundenen Schweiß verbrochen und am nächsten Morgen einen Schweißhundführer kommen lassen. So wollte ich aber wenigstens wissen, ob in der Folge mehr Schweiß ausgetreten war oder nicht. Wenn nicht, wäre für Ela die Arbeit zu schwierig gewesen und erst recht ein Grund, einen Profi kommen zu lassen.

Ela zeigte schon wieder die gewohnte Begeisterung, wie immer, wenn ich ihr die Schweißhalsung anlege, egal ob zur echten Nachsuche oder zu einer Übungsfährte. Sie nahm die Fluchtfährte auf, die in den Fichtenhorst führte. Hier war es nicht so hell, wie draußen im Laubwald, aber alles war gut sichtbar. Schon nach kurzer Strecke wurde der Schweißriemen schlaff und wir standen vor der toten Sau, der Ela jetzt nun tüchtig unter meinen Lobeshymnen auf den braven Hund die Leviten las.

Ich hängte meine Stirnlampe an den nächsten Baum, um die Sau auch allein wieder zu finden und brachte Ela ins Auto, um dort gleichzeitig meine Wildwanne zu holen, die auch als Schlitten einsetzbar ist. Jetzt durfte Akira die Wundfährte auch noch arbeiten, was ihr natürlich keinerlei Schwierigkeiten machte. Es ging mir dabei auch nicht um eine schwierige Übung, sondern nur um ein Erfolgserlebnis für den jungen Hund.

Mit der Wildwanne am Zugriemen im Schnee war nun der Transport zum Auto eine leichte Sache und das Reinhieven in den Kofferraum des Kombis war auch zu schaffen. Das Aufbrechen des Wildes erfolgte wie immer in der Wildkammer, und als diese dann sauber gespritzt war, zeigte die Uhr, dass schon zwei Stunden des Montags vergangen waren, als wir drei, jeder in seinem eigenen Bett, uns einrollten.

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