An der Hunsrückhöhenstraße

Nach einer arbeitsreichen Woche sollten mir einige Tage im Jagdrevier von Freunden
Ausspannung bringen, und auch meine vier Hunde sollten es mal wieder so richtig gut haben. Sie waren etwas vernachlässigt worden und strotzten nun vor überschüssiger Kraft und Lebensfreude. Der Monat Mai ging langsam seinem Ende zu. Der milde Winter und das sonnige Frühjahr hatten das Wachstum der Natur schon recht weit voran gebracht. Selbst hier in den Höhenlagen des Hunsrücks war das Gras in den Wiesen bereits hüfthoch wie das Wintergetreide, und der Raps stand nicht mehr in Blüte, sondern seine Schoten waren schon prall. Der Mais war allerdings noch nicht gedrillt.

Meine Jagdeinladung erstreckte sich zwar auf Rehwild, aber unter diesen Verhältnissen
war Jagderfolg auf diese Wildart unwahrscheinlich. Die Rehe steckten in der hohen Vegetation, hatten dort abwechslungsreiche Äsung und keine Veranlassung, die sichere Deckung zu verlassen. Ich musste aber auch nicht unbedingt etwas schießen. Wichtig war, einmal dem Alltag zu entrinnen und möglichst viel draußen allein mit den Hunden zu sein. Dabei sollte ich möglichst erkunden, wo die Sauen schon Tunnel in die Rapsfelder getrieben hatten und den einen oder anderen günstigen Ansitzplatz auskundschaften.

Im Jagdhaus traf ich den Jungjäger Axel an, der am Vorabend im letzten Büchsenlicht einen zwei- bis dreijährigen Keiler an einer Kirrung im Hochwald geschossen hatte. Ich ließ mir natürlich die Sache ausführlich schildern und fragte dann aber, ob er sich denn genügend Federn für einen ordentlichen Saubart gezupft habe. Das hatte er in seinem großartigen Erfolgsgefühl schlicht vergessen. Aber es war ja noch Zeit, das Versäumte nachzuholen.

In den nächsten Stunden machte ich zunächst eine „Gummipirsch“, wie eine Autofahrt durch das Jagdrevier auch scherzhaft genannt wird. Ich wollte den Wagen im Schatten einer um eine Kanzel aufgewachsene Feldholzinsel abstellen, um von dort aus mit den Hunden einen Spaziergang zu machen. Zufällig sah ich vor dem Aussteigen einen Hasen gemütlich über ein noch unbestelltes sehr großes Flurstück hoppeln. Stopp! Chance einer Hasenspur für Junghündin Cosima, war sofort mein Gedanke. In den Acker sollte demnächst Mais eingedrillt werden. Er lag zwischen zwei ausgedehnten Rapsstücken und wies eine natürliche Zwischenvegetation aus.

Während Cosima die Hasenspur zu meiner Zufriedenheit arbeitete, kam etwa 200 Meter von mir links eine Sau mit schon recht großen, nicht mehr gestreiften Frischlingen aus dem Raps, sie verschwand aber mitsamt ihrem Nachwuchs schnell wieder darin. Ich merkte mir die Stelle, um sofort anschließend meine kleine Meute dort auf den Fährten anzusetzen. Ela verschwand dann sofort im Raps und ihre Töchter folgten. Bald hörte ich Ela kurz aber wütend anschlagen. Akira hingegen machte wie immer von ihrem vorlauten Hals regen Gebrauch, wobei ich mir sicher war, dass sie das aus ganz respektvollem Abstand tat. Es war aber bald Ruhe. Die Bache hatte ihren Nachwuchs wohl schnell in Sicherheit gebracht. In dem dicken Rapsgestrüpp konnten die Hunde ihr auch sicher nicht folgen.A uf meinen Kommpfiff hin erschienen Ela, Akira und Cosima auch bald wieder, aber Cora ließ mich, wie so oft, wieder warten. Die wird schon kommen, dachte ich und zog mit den drei Hunden frei bei Fuß Richtung Auto. Plötzlich rechts vor mir Bewegung im Raps und ein Überläufer stürmte heraus. Im Schweinsgalopp ging er quer über den Acker in den nächsten Rapsschlag, verfolgt von meiner Restmeute.

Nun stand ich ohne meine Hunde da. Aber auch in dem Rapsstück war das Wildschwein
auf der Flucht den Hunden überlegen und so fanden sie sich bald wieder bei mir ein. Nur Cora fehlte, sie kam aber bald aus dem ersten Rapsfeld nach und legte sich am Auto an ein schattiges Plätzchen, als wolle sie sagen, dass sie jetzt erst einmal ausruhen müsse. Schließlich habe sie ja einen Überläufer aus dem Raps gedrückt.

Den Abend verbrachte ich auf einer Ansitzkanzel im Wald. Mit Wild rechnete ich eigentlich kaum. Den Abend genießen wollte ich. So lange Büchsenlicht war, draußen im Wald sein, den Tag Revue passieren lassen, Vogelstimmen lauschen, Plan für den nächsten Tag machen, nichts tun. Nach etwa zwei Stunden fühlte ich, dass in meiner unmittelbaren Nähe im dichten Jungfichtenbestand Wild war.

Dann hörte ich auch das leise Knacken von trockenem Nadelholz. Ich vernahm sogar den Atem eines stärkeren Stückes. Sofort spürte ich höchste Anspannung in meiner Brust. Ich machte leise meine Waffe schussbereit und verharrte, und verharrte, und verharrte. Etwa 20 Minuten dauerte dieser Zustand, dann fühlte ich, dass das Wild fort war, also nicht mehr austreten würde, und baumte ab.

Im Jagdhaus traf ich den inzwischen eingetroffenen Freund Eugen, dem ich natürlich von der eben erlebten Situation berichtete. Eugen vermutete, dass es der alte Keiler gewesen sei, dessen Atem ich gespürt hatte. „Den hat schon mancher gefährtet, aber der ist sehr erfahren und vorsichtig. Den bekommt man nur, wenn er mal einen Fehler macht“, war sein Kommentar.

Ein weiterer Tag im Revier verging mit den üblichen Arbeiten des Jägers, wobei mich die Hunde den ganzen Tag begleiteten. Von einigen Gehorsamsübungen abgesehen, tat ich aber kaum etwas für die Ausbildung der Nachwuchskräfte Cosima und Cora. Es fehlte einfach die Zeit.

Drei Wochen später, jetzt Mitte Juni, bog ich wieder von der Hunsrückhöhenstraße ab in das idyllisch gelegene blitzsaubere Dörfchen W. Als ich ins Jagdhaus kam, war Freund Eugen schon da. Er hatte seinen alten Kumpel Klaus vom Niederrhein mitgebracht, der, obwohl selbst kein Jagdscheininhaber, seit Jahrzehnten gerne mit auf die Jagd geht. Sei es als Treiber, Jagdhelfer oder als stiller Beobachter des Geschehens in Wald und Flur.
Nun wurde erst geklönt. Dann verschaffte ich den Hunden aber erst einmal Bewegung, bevor sie ihre Tagesration bekamen. Nachdem sie sich dann noch ein wenig bewegt und gelöst hatten, machte ich es mir auf der Kanzel in der bereits erwähnten Feldholzinsel bequem.

Etwa zweieinhalb Stunden Tageslicht standen noch zur Verfügung. Der Wind stand von Süd-Westen auf einen Teil des rechts von mir gelegenen Rapsfeldes zu. Direkt vor mir der Acker mit dem frisch eingedrillten Mais. Nun, Sauen konnten auch aus dem Raps von links oder auch aus dem gegenüberliegenden Wald etwa 400 Meter am Ende des Ackers anwechseln. Dass sie von rechts kommen würden vermutete ich nicht. Der Wind würde ihnen rechtzeitig meine Anwesenheit mitteilen, und sie würden die Deckung des Rapsfeldes nicht verlassen. Der Abend war zunächst ruhig. Von einem Mümmelmann und einigen Ringeltauben abgesehen, bekam ich kein Wild in Anblick. Die riesigen Felder bildeten eigentlich eine öde Kulisse.

Nach etwa zwei Stunden raschelte es rechts von mir im Raps. Dann war es wieder ruhig. Das wird ein Dachs sein, überlegte ich. Aber was fand Grimbart dort im Raps
an attraktivem Fraß? Allenfalls Mäuse, dachte ich. Warum war er aber jetzt wieder ruhig? Dann plötzlich geriet das Rapsstroh in Bewegung und eine Bache stürmte auf den Acker. Ihr folgte eine zahlreiche Rotte Sauen aller Größen. Die meisten aber waren Frischlinge, nicht halb so groß wie meine Hunde, aber ebenso lebendig und energiegeladen. Ehe ich aber alles richtig sortieren konnte, hatte die Leitbache mich gewittert, und auf ihr Signal hin war der ganze Familienverband wieder im Raps verschwunden. Nicht ein Körnchen von dem Frisch eingedrillten Mais hatten die Sauen aufnehmen können. Ich glaubte nicht, dass die Großfamilie noch einmal die schützende Deckung verlassen würde. Aber es war noch mit fast einer Stunde Büchsenlicht zu rechnen und so blieb ich auf meinem Hochsitz.

Knapp zehn Minuten später stand plötzlich etwa 80 m nördlich wieder eine Bache mit einem halben Dutzend Frischlingen vor dem Raps. Offenbar waren sie jetzt außer Wind,
denn sie suchten in aller Ruhe die Maiskörner aus dem Acker. Auch ein halbwüchsiges
Wildschwein gesellte sich dazu. „Das passt“ sagte ich mir. Im geeigneten Augenblick, das Stück stand still, breit und einzeln, brach der Schuss die Stille. Die Sau fiel um und schlegelte wie tödlich getroffen. Unverhofft stand sie aber wieder auf und verschwand in der Deckung des Rapsfeldes, ehe ich nachschießen konnte. Im letzten Tageslicht untersuchte ich den Anschuss. Ich fand Schweiß, den ich nach Aussehen und Konsistenz als Leberschweiß einschätzte. Also kein Nachsuchenfall für Ela. Hier musste am anderen Morgen ein Schweißhundführer helfen. Die Nacht war schlimm. Schlaf wollte sich nicht einstellen.

Als Treffpunkt mit dem Schweißhundführer Bernhard war die Kanzel, von der aus ich geschossen hatte, vereinbart. Malve hieß die Deutsche Jagdterrierhündin, die aus seinem Geländewagen sprang. Nachdem ich den Fall geschildert hatte, stellte Bernhard noch gezielt einige Fragen. Zweimal kam er auf die Größe der beschossenen Sau zu sprechen. Es war ihm schon mehrfach passiert, dass Jäger sich da total verschätzt hatten und dass am Ende der Nachsuche auf einen schwachen Überläufer eine grobe Sau lag. Und auf eine grobe Sau im Raps nachzusuchen, kann tödlich sein. Ich schlug daher vor, zunächst das Rapsfeld an allen Seiten daraufhin zu kontrollieren, ob eine kranke Sau ausgewechselt war, um gegebenenfalls von dort aus dann die Wundfährte durch den Hund aufnehmen zu lassen. Dieser Vorschlag deckte sich wohl auch mit Bernhards Vorstellung und so machten wir uns an die Arbeit. Malve zeigte uns verschiedentlich Wildwechsel an und wurde plötzlich auch ganz aufgeregt, als sie offenbar auf die Spur eines Fuchses kam. Eine Wundfährte zeigte sie uns aber nicht. Wohl wollte sie unbedingt an der Ostseite des Feldes in den Raps hinein. Bernhard trug sie aber ab und setzte sie jetzt am Anschuss an der Westseite an. Dabei sagte er, dass er meiner Einschätzung der Größe der beschossenen Sau, etwa 30 – 35 kg, vertraue.

Der inzwischen hinzugekommene Klaus wurde in die Nachsuche einbezogen. Malve zog vom Anschuss an gezielt am ganz kurzen Riemen in den Raps hinein. Nach kaum fünf Metern meldete Bernhard in dem dichten Gestrüpp Schweiß, allerdings recht hoch an dem Rapsstroh. War die Sau eventuell doch größer?
Klaus und ich folgten, und während ich an der bezeichneten Stelle stehen blieb, ging Klaus weiter mit, bis zur nächsten Stelle, an der die Hündin Schweiß verwiesen hatte. Dort blieb er stehen, während ich mich wieder an die Fersen von Bernhard heftete. So ging es Meter für Meter weiter. Die Hitze machte uns allen zu schaffen, wobei Malve ja noch die gepanzerte Weste trug.

Nach kurzer Zeit, wir hatten uns etwa etwa 40 Meter durch das dichte Gestrüpp gekämpft, kam der erlösende Ruf von Bernhard: „Sau tot“.
Es war ein weiblicher Überläufer mit Leberschuss, der aufgebrochen 32 Kilo an den Haken der Zugwaage brachte. Den Pürzel und einen Teller hatte der Fuchs schon verspeist. Die Kühle der Nacht hatte sich aber in dem dichten Raps gehalten und verhindert, dass die Sau verworfen werden musste. In Verkehr gebracht werden durfte das Wild allerdings nicht mehr. Malve bekam vom Aufbruch das Herz. Für die Bratenstücke habe ich persönliche Verwendung.

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