Im Poppenholz und auf dem Sesenberg

Die Ansitzjagd auf Schmalrehe war in diesem Jahr trotz vieler draußen verbrachter Stunden erfolglos. Ich fuhr also noch einmal für einige Tage nach E., zumal dort auch noch Arbeit zu erledigen war.

Es kommt immer mehr Licht auf den Waldboden in unserem Revier, was sowohl eine üppige Krautflora als auch die im Interesse des Wildes erwünschte Naturverjüngung zur Folge hat. Das veranlasst die Rehe wiederum, nicht mehr so häufig auf die Wiesen am Waldrand auszutreten, sondern im Wald zu bleiben, der ihnen ja besonders im Mai Äsung genug bietet. Die Jagd wird allerdings dadurch schwieriger und auch reizvoller. Ein Reh in einer Wiese, die noch nicht zu hoch ist, gestattet viel eher einen Blick mit dem Fernglas zwischen die Hinterläufe, als ein im Wald bummelndes Stück. Und für mich ist nur der Blick zwischen die Hinterläufe Grundlage der Entscheidung, ob ich fliegen lasse, oder nicht. Erfahrenere Rehwildjäger mögen auch auf andere Weise ihre Entscheidung treffen. Ich habe sicher bei meiner Methode schon manches Schmalreh laufen lassen, aber das kann ich gut verschmerzen.

Als der Wecker schrillte, war ich sofort hellwach. Wenn ich mehrere Tage im Revier bin, fällt das Aufstehen jeden Tag schwerer; aber heute war ja der erste Tag. Warmer Südwind hatte am Vorabend geweht, leicht aber stetig. Das war auch jetzt noch so. Also war mein Erdsitz im Poppenholz wohl ein geeigneter Ansitzplatz für den Morgen.

Poppenholz ist die Katasterbezeichnung für ein kleines Buchenaltholz, an das sich südlich und nördlich Fichtenstangenhölzer anschließen. Diese Fichtenwaldstücke bieten dem Wild Unterkunft, aber nicht Äsung und Fraß. Die Wiesen unter dem nahen Waldrand stehen im Eigentum der Kirchengemeinde des Nachbardorfes P. Ich vermute, dass das Poppenholz früher Popenholz hieß, auch zur Kirchengemeinde gehörte, und dass es vom Waldbesitzer später im Tauschverfahren zur Arrondierung seines Besitzes erworben wurde. Auf jeden Fall hat diesem Waldstück früher eine geordnete forstliche Betreuung gefehlt. Das aufstehende Holz lohnt jedenfalls den Transport in die Sägemühle nicht. Verwendbar ist es nur für Spanplatten oder den Kamin.

Schneller, als ich je wach werde, sind meine Hunde voll da. Sie können es kaum abwarten, dass ich mir einen Schnellcafe und ein süßes Milchbrötchen einverleibe. Es geht auch sofort in den Wald. Ihre Morgentoilette können die beiden am Hauptweg oben auf der Bergkuppe erledigen. Während ich sie dort etwas laufen lasse, fällt mein Blick auf einen kleinen Kahlschlag im weiten Buchenwald. Hier stand ein Fichtenhorst, der vor zwei Jahren so stark vom Borkenkäfer befallen wurde, dass er im letzten Jahr abgetrieben werden musste.

Eigentlich wollte ich den Platz anlässlich eines Waldspazierganges mit Reviergästen aufsuchen, um ihnen an noch dort liegenden Rindenstücken die Fraßspuren der Buchdruckerlarven aufzuzeigen. Aus Zeitmangel blieb es aber bei dem Vorhaben.

Schnell sind die Hunde wieder im Auto verfrachtet, wo sie heute auch während der Ansitzzeit bleiben müssen. Sie holen hier den erforderlichen Schlaf nach. Ich lasse das Auto an der Wildwiese stehen und pirsche von dort zu meinen Schirm im Poppenholz. Mein Ansitzplatz ist schnell hergerichtet und nachdem ich den Drilling bestückt habe, genieße ich zunächst einmal die kühle Morgenluft und das Konzert von hundert Vogelstimmen. Den Drilling habe ich gewählt, da schon Jungfüchse laufen, und ein mit Schrot geschossener Jungfuchs jedem Jagdhundausbilder hoch willkommen ist.

Schon bald fällt das volle Sonnenlicht auf die Wiesen draußen. Das helle Grün des Gegenhanges und das Gold der Rapsfelder unter der Kapelle des Klusberges leuchten zu mir in den Wald. Es ist so schön, und es geht mir so gut, dass vorerst eigentlich noch gar kein Wild zu kommen brauchte.

Aber was für ein Klumpen bewegt sich dort? Eine Sau, ein Überläufer von etwa 45 Kilo ist aus dem Fichtenbestand in den Buchenwald gezogen, geradewegs auf meinen Erdsitz zu. Etwa 15 Meter vor mir verharrt die Sau. Sie äugt zu mir, erkennt aber wohl nichts. Sie stellt sich breit, hangaufwärts, wohl zwei Minuten. Ich erkenne den Pinsel. Also ist es ein junger Keiler.

Er wendet, steht wieder breit, jetzt hangabwärts. Ich kann ihn jetzt im leichten Südwind riechen, er mich aber nicht. Mit langsamen Schritten geht er jetzt etwa 20 Meter talabwärts. Dann zieht er wieder auf meine Linie zu. Ich sehe ihn rechts neben mir passieren, und als er auf gleicher Höhe ist, verschluckt ihn die Bodenvegetation. Bald wird er in meinem Rücken sein, mich wittern und still verschwinden, denke ich. Meine Anspannung weicht und mich erfüllt eine Art Sympathie mit dieser Kreatur. Klar, der Bursche hatte Schonzeit. Aber selbst im benachbarten Niedersachsen, wo er frei gewesen wäre, hätte ich ihn nicht geschossen. Die Schwarzwildhege krankt unter anderem daran, dass zu viele Keiler zu jung erlegt werden.

Rehwild sah ich nicht mehr an diesem Morgen. Der Tag wurde sehr heiß aber auch arbeitsreich. Raps musste an verschiedenen Stellen neu eingesät werden.

Als am nächsten Tag der Wecker schellen wollte, habe ich das sofort unterbunden. Meine innere Uhr hatte mich schon geweckt. Allerdings war die Versuchung, doch liegen zu bleiben, schon stärker.

Als Ansitzplatz hatte ich mir eine neue noch im Rohbau befindliche niedrige Kanzel auf dem Sesenberg, nur wenige Meter von der Kreisstraße und nördlichen Reviergrenze ausgesucht. Da der Wind weiterhin aus Süden kam, versprach ich mir hier eine Chance, zumal eine Woche früher von einem benachbarten Hochsitz aus in der Frühe ein starker Rehbock und auch Ricken und Schmalrehe beobachtet und fotografiert worden waren.

Zunächst fuhr ich aber mit Ela und Akira aus dem Dorf heraus ins Feld, damit sie auf einer frisch gemähten Wiese ihre Frühgeschäfte erledigen konnten. Im Nordosten zeigte Morgenrot den baldigen Sonnenaufgang an. Als ich dann wenig später von der Straße aus meinen Sitz bezogen hatte, fielen die goldenen Strahlen schon in den Buchenwald, wo das Kronendach ihnen Durchlass bot. Der Wind kam leicht spürbar von links. Das morgendliche Vogelkonzert war ebenso schön wie am Vortag und meine Stimmung war ebenso gut. Lange Zeit tat sich nichts auf dem noch gut übersichtlichen Hang. Fast kniehohe Eschen, Buchen und vor allem Ahorne aller Art bedecken aber schon den Boden und in zwei Jahren wird das Wild hier nur noch selten zu sehen sein. Durch den Unterwuchs zog schräg rechts von mir ein Reh in meine Richtung.

Durch das Glas erkannte ich einen Sechserbock. Er war allein heute. Er zog rechts von mir kaum 2o Meter entfernt zwischen Hochsitz und der darunter liegenden Straße vorbei, obwohl der Wind von links kam. Dass er mich nicht wittern konnte, lag wohl am Aufwind, der ja morgens immer aus dem Tal den Berg hochzieht.


D
as Haar um sein Waidloch war dicht angelegt. Kein Spiegel war sichtbar, die Fläche dort nur unwesentlich heller als sonst am Körper. Es stand mir nicht zu, diesen Bock zu erlegen. So war es eben eine freundschaftliche Begegnung. Meine Jagd auf Schmalrehe wird wegen der am 31.5. endenden Jagdzeit auf September vertagt.

Horüdho!

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