Jagern im Altmühltale

„Du kommst ja auch am 12.5. zum Andi auf die Hüttn. Da wird ein Fass aufgemacht.“

Diese Worte einer ebenfalls von Jagdfreund Andreas zu einem Bockjagdwochenende eingeladenen Mitjägerin kamen mir wieder in den Sinn, als ich mich am Samstag in der Frühe mitsamt meinen vier Terrierdamen auf den Weg nach Süden machte. Um 14 Uhr sollte sich die kleine Jagdgesellschaft an der Ausfahrt Altmühltal der Autobahn zwischen Nürnberg und München treffen. Aber nach eineinhalb Stunden Stau bei Köln war schon klar, dass ich den Termin nicht einhalten konnte.
Mit zweieinhalb Stunden Verspätung traf ich dann an der Hütte ein, wo der Hausherr und Revierinhaber mich herzlich empfing und mit den mir noch nicht bekannten beiden Jägern Schorsch und Michel bekannt machte. Die beiden Jägerinnen Gertrud und Julia gehörten bereits zu meinem Jagdfreundeskreis. Meine Hunde machten mit den schon anwesenden Artgenossen schnell Bekanntschaft. Ela nahm eine junge Borderterrier Hündin sofort in den Familienverband auf, während diese Hündin und Cora sofort ein unzertrennliches Bündnis wie Max und Moritz eingingen. Die „großen“ Hunde, zwei Deutsche Wachtel und eine Deutsch Drahthaar Hündin, hatten dann weitgehend Ruhe vor der Terrierbande.

Der Nachmittag verging bei sommerlichem Wetter mit ernstem und lustigem Erzählen, Bier, Kaffee und Kuchen sowie mit der Vorbereitung des herzhaften Abendessens. Nachdem das gut geschmeckt hatte, ging es hinaus ins Revier. Die geplante Ansitzjagd galt Rehböcken und Schmalrehen, und so wurden alle Jagdgäste in einem Revierteil angesetzt, der in der noch jungen Saison unbejagt geblieben und daher erfolgversprechend war. Auch Schwarzwild war, sofern wider Erwarten vorkommend, freigegeben. Ich wurde von Andi zu einer fahrbaren Kanzel gebracht, die unweit von einem Mischwaldrand vor einem für die Wildackerbestellung angepachtetem größeren Feld postiert war. Dieser Hochsitz ließ, was solide Bauweise, Bequemlichkeit und Funktionalität anbetrifft, keine Wünsche offen. Ich bin sicher kein Freund von unnötigem Luxus auf der Jagd. Aber so bequem, dass man keine Rückenschmerzen bekommt und dass man nach drei Richtungen ohne akrobatische Verrenkungen schießen kann, darf eine Ansitzeinrichtung für mich schon sein. Und genau das war hier der Fall.

Nachdem ich mich eingerichtet und die Waffe geladen hatte, machte ich mich mit der Umgebung vertraut. Ich durfte schon in verschiedenen Revieren in Deutschland jagen, und ein Vergleich der Landschaften mit ihren Bodenbewirtschaftungen sowie unterschiedlicher Fauna und Flora gehört bei mir zum Erlebnis des Jagens. Hier von meinem Hochsitz aus sah ich eine bäuerliche Kulturlandschaft, die von ausgedehnten Waldflächen umrahmt war. Viehweiden gab es nicht. Das Milchvieh bleibt hier das ganze Jahr aufgestallt. Die Felder und Wiesenstücke waren zwar nicht klein, aber auch nicht so groß, dass die Landschaft eintönig wirkte. Das sich mir bietende Bild ließ auf einen sehr gemischten Fruchtanbau schließen. Typisch die Hopfengärten mit ihren ausladenden Stangenkonstruktionen. In dem inzwischen einsetzenden Konzert der Vogelwelt vermisste ich das Rufen der wilden Tauber. Tonangebend waren Schwarz- und Singdrosseln, aber auch bemerkenswert viele Buchfinken schmetterten mit, während in meiner unmittelbaren Nähe eine Goldammer zaghaft aber ausdauernd ihr „ich hab dich so lieb“ in den Abend hinausrief. Die Abendsonne beschien eine Szene wie auf einem Bild romantischer Malerei.

Unmittelbar rechts und links von meinem Platz waren Wiesen, die eigentlich schon gemäht werden konnten. So hoch waren sie schon. Aller Arten Gräser durchsetzt mit blühenden Kräutern und vor allem mit bereits Samen tragendem Löwenzahn. Weiter vor mir die Wildackerfläche mit zwei breiten Ackerstreifen noch ohne Bewuchs.
Ein Mümmelmann war schon aus dem Wald in die Wiese gerutscht und genoss die reichhaltige Äsung ebenso wie die Abendsonne. Ich betrachtete ihn im Glas. Er griff sich einen Löwenzahnblütenstengel, und vom unteren Ende her zog er sich ihn nach und nach über die Stiftzähne ins Geäse. Seine Backen waren in ständiger, seine Löffel in gelegentlicher Bewegung. Die im Verhältnis zum Kopf sehr großen Augen schienen völlig ruhig. Seit einigen Jahren schon habe ich keinen Hasen mehr erlegt, obwohl ich vom Ansitz aus Gelegenheit dazu gehabt hätte. Es mag daran liegen, dass ich für diese Wildart eine starke Sympathie habe.

Über einer kleinen Kuppe nahm ich weiter links von mir in der Wiese drei Wildkörper war. Ich sah durchs Fernglas. Was konnte das sein? Jetzt schon Sauen im Sommerkleid? Das passte nicht zur Jahreszeit. Aber Frischlinge hätten es nach der Farbe schon sein können. Die wären aber in dem hohen Gras nicht sichtbar gewesen. In der Verlängerung der Rückenlinie eines Stückes war etwas ständig in Bewegung. „Damwildwedel“ war mir plötzlich klar. Mit dieser Wildart hatte ich hier überhaupt nicht gerechnet. Kurz darauf zogen etliche weitere Stücke Damwild aus dem dahinter liegenden Hopfengarten in die Wiese ein, und das ganze Rudel wechselte auf meinen Hochsitz zu. Einige Alttiere gingen schon sehr dick. Schmaltiere und ein Spießer, der sehr hoch auf hatte, komplettierten das Rudel. Günstigenfalls im nächsten Monat, spätestens aber im Juli werden die Alttiere ihre Kälber setzen. Die Schmaltiere werden dann von ihren Müttern lernen, wie Kälber groß gezogen werden, und der junge Hirsch wird sich vielleicht absetzen, eine Zeit lang allein oder mit einem Gleichaltrigen das Revier durchstreifen, um sich dann später einem Rudel männlicher Artgenossen anzuschließen.

Jetzt aber stand der ganze Verband fast eine viertel Stunde zwischen mir und dem Waldrand wobei das Leittier häufig zu mir herüber äugte. Ich vermied selbstverständlich jede heftige Bewegung, und da der Wind schräg von vorn kam und mich nicht verraten konnte, sah es auch keine Veranlassung zur Flucht. Ganz langsam zogen alle Stücke nach und nach in den nahen Hochwald, den ich an einigen Stellen einsehen konnte.
Weit links von mir in der Nähe desselben Hopfengartens konnte ich am Waldrand in einer Wiese zwei Rehe ausmachen aber wegen der Entfernung nicht ansprechen. Vermutlich waren es eine Ricke und ihr Kitz aus dem Vorjahr, das ja nun zum Schmalreh geworden war. Das könnte vielleicht der dort hinten postierten Jägerin Julia passend kommen, dachte ich so.

Bei mir rechnete ich nicht mit Rehwild, da ich im Randbereich des Waldes immer wieder das Damwild sah. Und Rehe meiden fast immer Damwild, wo es möglich ist. Das Rudel trat dann aber wieder komplett in die Wiese aus. Aus der Nachbarschaft hörte ich einen Schuss. Michel saß ja auf der nächsten Kanzel. Na, der hat ja wenigstens schon mal etwas für die Strecke getan, freute ich mich. Das Damwild warf auf den Schuss hin auf, blieb aber. Erst einige Minuten später zog es sich langsam in den Wald zurück. Das Tageslicht wurde merklich weniger, und ich stellte mich langsam darauf ein, dass ich ohne Beute abbaumen würde, als gerade vor mir ein Stück Rehwild ziemlich flott und spitz auf mich zu aus dem Wald trat. Es war ein Jährlingsbock, wie der Blick durchs Fernglas zeigte. Der passt, dachte ich.

Der Bock zog zunächst durch einen Grünstreifen und verweilte dann auf noch unbestellter Ackerfläche, rötlich tonhaltigem Lehmboden. Er stand auch breit, aber es war im schwindenden Licht schwer, ihn ins Zielfernglas zu bekommen. Während ich das noch versuchte, fiel rechts von mir ein weiterer Schuss. Sofort sprang der Bock ab. Ich blieb noch sitzen, denn es hätte ja sein können, dass er im allerletzten Büchsenlicht noch einmal austrat. Dann fiel links von mir noch ein Schuss. Da musste Julia geschossen haben. Den zweiten Schuss, der mein Böckchen vergrämte, hatte Schorsch abgegeben und damit einen Spießer erlegt. Julia war auf einen schwachen Gabler erfolgreich, und Michel auf ein Schmalreh.

Noch Stunden, nachdem das Wild längst in die Kühlung gebracht war, wurde in der warmen Mainacht vor und in der Hütte gefeiert. Andi warf den Grill noch einmal an, damit die übrigen Steaks ihrer Bestimmung zugeführt werden konnten. Die Stimmung stieg ständig, und das launige Erzählen wollte kein Ende nehmen. Der ursprüngliche Plan, auch in der Frühe wieder anzusitzen, wurde aufgegeben. Morpheus wollte schließlich auch sein Recht.

Am Sonntag zogen meine Mitjäger nach und nach wieder ihrem heimatlichen Herd zu, während ich noch auf der Hütte blieb und noch zweimal auf Rehwild ansaß. Auch dabei kam ich nicht zum Schuss, aber Jagd erlebt habe ich trotzdem.

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