Juliabend im Erlenwäldchen

Das kleine Erlenwäldchen am Rande des Reviers ist im Sommer ein Magnet für die Rehe. Forstwirtschaftlich ist das Gebiet kaum zu nutzen. Da hier auf engem Raum einige kleine Quellen entspringen, deren Rinnsale sich zu einem Bächlein vereinigen, ist der Boden für die meisten Bäume zu feucht. Das Quellwasser ist zudem so kalt, dass es den Mücken hier nicht behagt, und auch das Schwarzwild suhlt hier nicht. Schwarzerlen und ein paar Pappeln wachsen aber hier. Auch einige Holundersträucher haben sich hier angesiedelt, ohne allerdings so richtig zu gedeihen. Das verhindern schon die Rehe, die diese Weichholzart gern verbeißen. Und der starke Bock, der hier selten gesehen, seinen Einstand hat, verfegt sie auch. Abgesehen davon fehlt es auch an ausreichendem Licht für den die Sonne liebenden Strauch.

Zu der geräumigen Kanzel unter den Erlen führt ein kleiner, für den unbedarften Wanderer, kaum erkennbarer Pirschpfad vom Holzabfuhrweg durch einen Mischwald mit Unterwuchs. Wenn die Bäume belaubt sind, ist diese Jagdeinrichtung auch aus geringer Entfernung kaum zu sehen. Auch im Winter fällt sie kaum in der Landschaft auf. Der Kanzelboden ist nur mannshoch über der Erde, denn von der Mär, dass das Wild den Jäger nicht wittern würde, wenn er nur hoch genug über der Erde sitzt, haben wir uns längst verabschiedet. Andererseits ist die Kanzel hoch genug, dass das Erdreich bei jedem vernünftig überlegtem Schuss einen sicheren Kugelfang bietet. Mit bestimmter Jagdbeute rechne ich an diesem Ansitzabend eigentlich nicht. Mein alter Drilling ist aber für alle Fälle dabei, schließlich kann eine Rotte Sauen passieren, aus der dann ein Frischling willkommen wäre. Für den Jungfuchs oder den Jungwaschbären hätte ich hingegen auch die Schrotläufe zur Verfügung.

Meine beiden Terrierhündinnen Ela und ihre Tochter Akira pirschen gespannt aber ruhig mit mir zum Hochsitz. Dort wird zunächst die Waffe sicher abgestellt und Ela nach oben getragen. Als ich Akira abholen will, hat sie meinen Befehl, ruhig liegen zu bleiben, vergessen. Sie steht schon mit den Vorderpfoten auf der kleinen Leiter und kann es nicht abwarten, auch mit herauf genommen zu werden. Bei diesem Zeichen von Anhänglichkeit verzeihe ich ihr den kleinen Ungehorsam. Zuletzt wird die Waffe geholt, geladen und abgestellt. Ich bin erst heute im Revier eingetroffen. Die Autofahrt in der Julihitze war wenig erquicklich. Aber jetzt kommt an diesem Platz ein ganz leichter Wind den Hang hinab und mit der langsam beginnenden Abenddämmerung fühle ich auch eine Entspannung.

Ela schnarcht schon in dem zweiten Stuhl hinter mir, aber als ich meine Arme bequem auf der Fensterbank ausbreiten will, steht Akira auf den Hinterpfoten und mit den Vorderbranten auf meinem Oberschenkel stupst sie mich mit der feuchten Nase an. Ihre klaren Augen geben mir zu verstehen, dass jetzt doch eine gute Gelegenheit sei, sie auf den Schoß zu nehmen, damit sie von da aus aus dem Fenster schauen kann. Ich nicke nur leicht, und wie ein Federchen fliegt die Kleine auf meinen Schoß, um aber sofort die Vorderpfoten auf der Fensterbank abstützend ihren Beobachtungsposten einzunehmen. Es dauert nicht lange bis auch sie müde wird und sich auf meinem Schoß zusammenrollt.
Mich überkommt langsam auch eine wohlige Müdigkeit, aber hellwach werde ich sofort, als ich das Gefühl habe, angeschaut zu werden. Richtig.

Am Rand der kleinen Lichtung steht eine Ricke, die zu mir herüber äugt. Kaum 20 Meter ist sie von mir entfernt. Auch Akira ist wach und will wieder aus dem Fenster schauen. Aber instinktiv verhindere ich das und drücke sie von meinem Schoß herunter auf den Kanzelboden. Dabei halte ich meinen Oberkörper stocksteif, damit die Ricke bloß keine Bewegung wahrnimmt. Jetzt wendet sie das Haupt und äugt in eine andere Richtung. Ich verharre aber noch weiter in meiner Starre. Plötzlich steht auch ein Kitz neben der Ricke, und als diese sich auf ihr Kind konzentriert und es in mütterlicher Fürsorge beleckt, kann ich mich wieder bequemer setzen und das Fernglas zur genaueren Beobachtung zur Hilfe nehmen. Ricke und Kitz ziehen aber bald aus meinem Gesichtsfeld in den anschließenden Buchenhochwald hinein.

Das Abendkonzert der Singvögel beginnt. Gemessen an den üppig besetzten Orchesterveranstaltungen an Maiabenden wird aber heute im Juli nur eine kleine Nachtmusik geboten. Aber auch die heutige Serenade ist sehr stimmungsvoll und lässt leichter die Melodien einzelner Sänger verfolgen. Das ständige Rufen eines verliebten Ringeltaubers passt aber eigentlich nicht zur Partitur. Das Tageslicht wird ganz langsam weniger. Um diese Jahreszeit, so nahe an der Sommersonnenwende, dauert es sehr lange, bis die Dunkelheit eingetreten ist.

Heute bilden sich über dem feuchten Quellgebiet an einigen Stellen auch Nebelschwaden. Der Himmel ist aber klar, und hinter dem Buchenaltholz südlich von mir kann ich den jetzt im Juli tief stehenden Halbmond ahnen. Glühwürmchen in großer Zahl begleiten mich und meine Hunde auf dem Pirschpfad zurück zum Auto. Mir kommt die Strophe eines in meiner Jugend oft am Lagerfeuer gesungenen Liedes in Erinnerung und ich brumme leise vor mich hin:

Und wallt aus tiefem Tale
heimlich und still die Nacht,
und sind vom Mondenstrahle
Gnomen und Elfen erwacht.
Dann dämpfet die Stimme,
die Schritte im Wald,
dann sehen und hör'n wir manch' Zaubergestalt.
Die wallt mit uns durch die Nacht.

Singt man heute noch so etwas?

Horuedho!

zurück