Nachtansitz am Nikolaustag

Nachdem der Dezember mit Nebelnächten begonnen hatte, kam heute Nordwind auf, der klares Wetter brachte. War es in den letzten Nächten zu neblig und diesig, so hatte ich heute meine Zweifel, ob das Schwarzwild bei dem hellen Mondlicht sich überhaupt auf die Lichtungen trauen würde. Ins Schlafzimmer kommen die Sauen aber nicht, und so hieß es also rausgehen und ansitzen.

Schon nachmittags hatte ich mich für die geschlossenen Kanzel "Am Stucken" im Zentrum unseres kleinen Reviers entschieden. Die Hunde mussten in der Jagdunterkunft bleiben. Ela hätte ich zwar mit auf den Hochsitz nehmen können, bei Akira geht das aber noch nicht. Erstens will ich dem jungen Hund noch nicht den Knall einer Büchse in unmittelbarer Nähe zumuten. Ich bin froh, dass sie bei Schrotschüssen im Feld nicht ängstlich reagiert und möchte sie erst gemach auch an den viel stärkeren Knall meiner 9,3x62 gewöhnen. Zweitens hat sie noch kein Wild vom Hochsitz aus erlebt und ich will mir natürlich die jagdlichen Chancen nicht durch ihr Gebell verderben lassen. Schließlich muss sie erst noch lernen, beim Anwechseln von Wild gelassen zu bleiben. So sollte auch Ela diesmal daheim bei ihrer Tochter bleiben. Wenn ich sie zur Nachsuche brauchen würde, wäre sie ja schnell geholt.

Ich hatte mich gegen 7.00 Uhr bei etwa 5 Grad Frost kaum häuslich auf dem Hochsitz eingerichtet, als ich auf der Lichtung vor mir ein Stück Wild stehen sah. Ein schwarzes Damschmaltier versuchte von dem Mais zu naschen, den ich zum Ankirren der Sauen unter großen Steinen versteckt hatte. Damwild entwickelt enorme Kräfte, um an das goldene süße Getreide zu kommen. Die Steine müssen daher schon ein gewisses Gewicht haben, damit sie nicht einfach beiseite geschoben werden können. Nach mehreren erfolglosen Versuchen dieser Art zog das Stück aber in westlicher Richtung durch ein Fichtenaltholz ab. Für ein Wildschwein hingegen stellen schwere Steinplatten kein Hindernis dar. Schon ein etwas stärkerer Frischling hebt einen solchen Stein mit seinem Wurf an und schleudert ihn unter Umständen einen Meter weit fort.

Nun war ich also wieder allein mit mir in der kalten Mondnacht, die heute am Samstag recht still war. Der Nordwind kam von rechts, wo die nächste Eisenbahnlinie sehr weit entfernt war. Das Wochenendfahrverbot für Lastwagen ließ auch auf der Ostwestfalenstraße keinen stärkeren Verkehrslärm zu. Der nachmittags noch unangenehme Nordwind war abgeflaut.

Eine herrliche Ansitznacht stand bevor. Wie schön es ist, den Wald in der Nacht zu belauschen und mal einige Stunden sonst nichts zu hören, weiß nur, wer es selbst erlebt hat. Das Mondlicht wurde immer üppiger. Die starken Fichtenstämme warfen dunkle Schatten, und wenn dort in einem solchen Schatten jetzt eine Sau gestanden hätte, wäre sie kaum zu erkennen gewesen. Deswegen ist mir zur Jagd zwei Tage vor Vollmond eine geschlossene nicht zu dichte Wolkendecke viel lieber. Wenn die Nacht mit milchigem Licht erfüllt ist, jagt es sich viel besser. Auch ist das Schwarzwild dann nicht so scheu.

Gegen neun Uhr hörte ich aus der Nachbarschaft einen Schuss. Also laufen die Sauen wenigstens, war mein Gedanke. Dass die Kugel einem Fuchs gegolten hatte, war natürlich auch möglich. Plötzlich stand auf der Lichtung ein einzelnes Reh. Es hatte den Siegel gespreizt, also war es beunruhigt. Im Fernglas erkannte ich an der Form des Spiegels, dass es ein Rehbock war. Sein Gehörn hatte er abgeworfen. Auch dieser Gast blieb nicht lange in meinem Blickfeld sondern zog langsam von der Lichtung in Richtung einer Naturverjüngung davon.

Aus der Ferne hörte ich einen weiteren Schuss und bald darauf bellte ein Fuchs. Mir ging so durch den Kopf, dass ich noch gar keinen Waldkauz gehört hatte in dieser Nacht, als ich aus der Naturverjüngung den Rehbock mordsmäßig schrecken hörte. Seine plötzliche laute Unmutsäußerung erschreckte mich regelrecht. Er wollte sich gar nicht wieder beruhigen. Wohl fünf Minuten schimpfte er über irgendein Ärgernis. Dann zog er weiter weg und das Schrecken wurde leiser. Hatte er mir das Anwechseln von Sauen angezeigt oder hatte er Wind von mir bekommen? Mit besonderer Aufmerksamkeit lauschte ich nun in die Winternacht. Aber es blieb still.

Was war das? Hatte da nicht ein Ast unter dem Tritt eines Stückes geknackt? Da war doch wieder ein Knistern! Oder war das der Frost? Plötzlich ein explosionsartiges Schrecken des Rehbocks, der sich wieder zum Ort seines Ärgers zurück geschlichen hatte. Nicht nur ich erschrak davon, sondern auch zwei Waschbären, die ich bisher noch gar nicht bemerkt hatte und die jetzt einer nach rechts und einer unter meiner Kanzel hindurch eilig davon humpelten, während der Rehbock in weiten Sprüngen durch den Hochwald davon preschte.

Jedenfalls war ich jetzt hellwach. Noch einige Stunden blieb ich sitzen, dachte an dies und jenes und auch an das Wild, das ich von diesem Hochsitz aus schon erlegt hatte. Nach Mitternacht vernahm ich noch einen weiteren Schuss aus der Ferne. Dann baumte ich ab. Wieder erfolglos, wie schon fünf Nächte zuvor. Aber mit einem Gefühl von Zufriedenheit.

Die Kontrolle der Kirrung am nächsten Morgen bestätigte, dass die Sauen auch später nicht mehr gekommen waren. Als ich nach der Kontrolle zu meinem Auto zurückging fuhr der Geländewagen unseres Reviernachbarn über den Hauptweg auf mich zu. Was mochte das bedeuten? Der Nachbar wollte mich informieren, dass er in der letzten Nacht gegen 4.00 Uhr in der Frühe einen Frischling beschossen hatte, der nicht im Feuer lag, sondern in unser Revier gewechselt war. Der Schweißhundführer war schon bei der Arbeit.

Die Wutz wurde vom Schweißhund gefunden und,- so ist das Jagdrecht -, gehört mir. Eine selbst erlegte Sau wäre mir zwar lieber gewesen, aber wenn St. Nikolaus mich bescheren wollte …

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