Schwarzkittel In der Jägersprache werden die Wildsauen wegen ihrer schiefergrauen Farbe oft als Schwarzkittel bezeichnet. Der Begriff wurde aber auch mit einem Augenzwinkern für geistliche Herren, die es ja früher in der Jägerschaft häufiger gab, verwendet. Im Eggegebirge könnte man aber auch das dort seine Fährten ziehende Damwild so bezeichnen. Es ist nämlich von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen nicht braun mit weißen Flecken, sondern auf dem Rücken tiefschwarz, während Flanken und Bauchpartien von einem grauen Farbton sind. Die Population dort geht auf ein bis zum Ende des zweiten Weltkrieges in einem Gatter an der Hinnenburg gehaltenen Rudel zurück. Amerikanische Soldaten befreiten im Frühjahr 1945 durch Öffnen des Gatters das Rudel, das in den Laubwäldern des nahen Gebirgszuges gute Lebensbedingungen vorfand und sich sehr zahlreich vermehrte. Es war einige Tage vor dem Vollmond im März des Jahres 2000. Wie mir berichtet wurde, hatten in der letzten Zeit verschiedentlich Frischlinge die Kirrung am Bohrloch aufgesucht. Und Frischlinge durften im März noch bejagt werden. Alles andere Wild hatte Schonzeit. Im März ist das Mondlicht für den Jäger noch einigermaßen brauchbar. Mit zunehmender Tageslichtdauer wird die Mondumlaufbahn aber immer flacher und zur Sommersonnenwende hat der Mond Kurzarbeit. Die Kirrung lag etwa eine Schrotschussentfernung von meiner Kanzel auf einer forstlich nicht genutzten Fläche, auf der ich nach den Eisheiligen im letzten Jahr Raps angebaut hatte. Der war gut gediehen und hatte dem Damwild den Winter über Äsung geboten. Und nach dem Prinzip der Natur hatte das Wild die Blätter dieses Futterkohls zuerst abgeäst, so dass jetzt nur noch die Stängel, aber auch davon nur noch Reste, vorhanden waren. Um die Kirrung herum in der Mitte der Fläche, wo ich unter großen Kalksteinen den Körnermais für die Sauen versteckt hatte, war keinerlei Vegetation mehr. Gegen 20 Uhr hatte ich mich warm eingemummelt. Zwar war es bei dem leichten Süd-West-wind nicht sehr kalt, aber der Ansitzsack war durchaus angebracht. Ich war den ganzen Tag in der frischen Luft gewesen, war viel gelaufen und hatte hier und da gearbeitet. Müdigkeit machte sich bemerkbar, immer wieder nickte ich einmal ein, um dann, ehe mich der Schlaf richtig überwältigt hatte, wieder hellwach zu werden, zu schauen und zu lauschen. Ja, vor allem lauschen. In der Mondnacht, wenn die Dunkelheit dem Auge des Jägers Grenzen setzt, ist das Ohr weit mehr als sonst zur Wahrnehmung bereit. Und wenn es dann von dem Dauerlärm, der den Menschen heute fast überall umzingelt, befreit ist, kann es auch lernen, einzelne Geräusche zu unterscheiden und exakt zu orten. So sagt mir mein Ohr genau, dass ein Knacken eines trockenen Astes daher rührt, dass ein schweres Stück Wild darauf tritt oder in welcher Entfernung ein Tier, sei es Hase oder Igel, im trockenen Laub raschelt. Jetzt hatte ich aber nichts gehört, als ich plötzlich ein junges Stück Damwild auf der Freifläche vor mir sah. Es stand dort wie eine Statue, das Haupt in gespannter Aufmerksamkeit in die Luft gereckt. Diese Haltung hatte ich bei Damwild schon oft beobachtet. Sie zeigt, dass dem Tier die Situation nicht ganz geheuer ist, und geht meistens einem baldigen Abspringen voraus, das bei dieser Wildart typischerweise mit einigen Schlusssprüngen eingeleitet wird. Sicher war es kaum mehr als eine Minute, die das Tier so verharrte. Mir aber kam diese Zeit sehr lang vor. Glücklicherweise schätzte der Besucher die Situation aber doch nicht als gefährlich ein, womit er jetzt in der Schonzeit auch zweifellos recht hatte. Er naschte dann an den Rapsstrünken und in der Stille des Waldes konnte ich die knuspernden Geräusche vernehmen. Ich hatte nun wenigstens Gesellschaft, die mir die Zeit auf dem Ansitz etwas verkürzen würde. Die Umstände sprachen dafür, dass es sich bei dem Tier um ein Hirschkalb aus dem vorigen Jahr handelte. Zwar reichte das Licht nicht aus, um einen Pinsel eindeutig zu erkennen und ein Erstlingsgeweih war noch nicht vorhanden. Ein weibliches Stück gleichen Alters würde jetzt aber bei der Mutter im Rudel stehen und nicht allein umherstromern. Während
die einjährigen Damhirsche allein fertig werden müssen, dürfen
die Schmaltiere noch ein Jahr bei der Mutter bleiben und nach dem Setzen
des nächsten Kalbes lernen, wie so ein Kalb von der Mutter geführt
wird. Wohl eine halbe Stunde schon hatte der junge Hirsch, der ja bald
ein Spießer sein würde, sich an den Futterkohlstrünken
gütlich getan, als er plötzlich aufwarf und Richtung Hang
nach Westen äugte. Jetzt hörte ich von dort auch Wild anwechseln,
und meine Vermutung, dass es ein Wildschwein war, bestätigte sich.
Bald stand ein Überläufer von etwa 40 Kilo am Rande der Freifläche
und wollte offenbar an die Maiskörner in deren Mitte. Noch ein
Besucher, der Schonzeit hatte. Auch bei der Wildsau war anzunehmen,
dass es sich um ein männliches Tier handelte, denn auch die jungen
Keiler werden in der Rotte nicht geduldet. Streifen sie auch zunächst
noch oft mit einem Kumpel durch die Gegend, so werden sie doch bald
Einzelgänger und nähern sich erst zur Rauschzeit wieder den
Familienverbänden. Das so oft ritterlich
und wehrhaft genannte Schwarzwild hatte an diesem Abend wohl einen pazifistischen
Vertreter zu meiner Kanzel entsandt. Einige ruppige Frischlinge wären
mir ja lieber gewesen, aber die Begegnung mit diesen beiden „Schwarzkitteln“
wurde in meinem Jagdtagebuch notiert, und deshalb kann ich sie heute
noch erzählen. |
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